Es gibt eine Vielzahl von Vorurteilen gegenüber Asiaten und viele davon sind reine Mythen, aber es sind durchaus nicht alle erfunden: So stimmt es zum Beispiel durchaus, dass Chinesen in der Öffentlichkeit rülpsen (daran gewöhnt man sich), auf die Strasse, in Mülleimer und in Pflanzenkübel rotzen (daran gewöhnt man sich nie), beim Essen schmatzen und Essensreste auf den Teller spucken.
Und erst vor kurzem auf dem Heimflug von Zürich nach Shanghai, neben einem ca. 35 jährigen Chinesen sitzend, konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass an dem Vorurteil, dass es mit den Chinesen und Milchprodukten nicht weit her ist, durchaus was dran ist.
Der junge Herr war vermutlich auf dem Rückweg seiner ersten Europareise und sprach weder ein Wort Englisch, noch Deutsch und dadurch hielt sich die Konversation während des 12stündigen Flugs durchaus in Grenzen (was übrigens besser ist als 12 Stunden von einem italiener pausenlos bequatscht zu werden).
Sehr unterhaltsam wurde es dann aber doch noch, als das Essen kam. Bei Swiss gibt es in Flügen ab Zürich europäische Speisen und zu denen gehören in der Regel Butter, ein Stück schweizer Käse und ein kleines Becherchen Kaffeesahne (diese braunen kleinen Dinger mit dem Aludeckel) für den Kaffee oder Tee nach dem Essen. Offensichtlich hat mein Nebensitzer keinen der drei Artikel je zuvor in seinem Leben gesehen und entsprechend eindringlich hat er jeden einzelnen davon mit fragender Miene inspiziert.
Sichtlich erleichtert schien er dann, als er bei mir abschauen konnte (daran sind die Chinesen ja gut – auch das ist kein Vorurteil), wie ich mein Brötchen halbiert und mit Butter bestrichen habe. Das hat er dann auch gleich nachgeahmt und offensichtlich hat ihm unsere Version des Butterbrotes soweit ganz gut geschmeckt. Zumindest schmatzte er genüsslich und lächelte zufrieden zu mir hinüber während er so vor sich hin kaute.
Mit der Hauptspeise die in einem Flugzeug ja naturgemäß nicht sonderlich extravagant ist kam er dann gut zurecht (auch wenn man ihm ansah, dass er mit Gabel und Messer nicht sonderlich geübt ist) und als er fertig war, blieb dieses ca. zeigefingerlange, eingeschweißte Stück Gruyerekäse auf seinem Tisch zurück. Seine Augenbrauen zogen sich bei dessen Anblick erneut fragend zusammen und er entschied dann offensichtlich den Gegenstand als „nicht essbar“ zu kategorisieren und erst einmal liegen zu lassen. Aufmerksam wurde er dann erneut, als ich mein Stück Käse (für mich übrigens das Highlight eines jeden Swiss-Fluges) aus der Plastikhülle schälte und genüsslich verspeiste (natürlich nachdem der obere und untere Rand mit der Rinde abgeschnitten wurde – aber den Teil hat er verpasst).
Von der Neugier erneut gepackt wollte er jetzt doch ausprobieren, was die Westler da geblich- komisches essen und steckte das Stück Käse genüsslich mit Rinde in den Bund um einen großen Bissen zu nehmen. Von dem Gesicht das darauf folgte hätte ich zu gerne ein Foto gemacht. Genau so muss ich damals ausgesehen haben, als ich zum ersten Mal ein 1000-Jähriges Ei hier in China probiert habe. Seine Gesichtszüge verzogen sich geradezu mitleiderregend und sichtlich angewidert kämpfte er sich durch jeden Bissen um den Rest des guten Stücks dann zurück auf seinem Tablet liegen zu lassen.
Es brauchte in paar Minuten, bis er sich von diesem Erlebnis erholt hatte und so machte er sich nach einer Weile sehr zögerlich an den letzten, verbliebenen Gegenstand auf seinem Klapptisch – das Becherchen mit Kaffeesahne. Nicht in der Lage zu lesen, worum es sich handelte, nahm er vermutlich an, das sei eine sonderliche, schweizer Nachspeise und inspizierte erst den Becher eindringlich von allen Seiten – ohne natürlich daraus schlau zu werden. Nachdem auch Schütteln und rumdrücken keinen weiteren Aufschluss brachte, hielt er den Becher mit der Öffnung zur Seite (also liegend) und fummelte so lange an dem Deckel herum, bis dieser dem Zug schlagartig nachgab und die Sahne quer über die Sitzreihe spritze. Sichtlich peinlich berührt und mit sehr gezwungenem Lächeln mir gegenüber folgte daraufhin wieder eine Experimentierpause, bevor er dann doch noch beschloss, den verbliebenen Rest Kaffeerahm mit dem Finger zu probieren um daraufhin erneut angewidert aus der Wäsche zu schauen.
Dazu muss man sagen, dass das Verhalten meines Nebensitzers zwar lustig, aber durchaus nicht erstaunlich ist. Milchprodukte sind in China traditionell tatsächlich nicht sonderlich populär. Und das hat einen eigentlich einfachen Grund: Der Mensch ist von Natur aus nicht dafür gemacht, Tiermilch zu trinken. Ca. 75% der Menschen vertragen die sogenannte Laktose (Milchzucker) nicht und um Tiermilch problemlos verdauen zu können, muss man ein Mutant sein. In Europa hat sich diese Mutation schon vor relativ langer Zeit weitervererbt und verbreitet, doch vor allem in Asien (und übrigens auch in weiten Teilen Afrikas) fehlt den Menschen schlichtweg das Gen um Milch zu verarbeiten. Da erstaunt es nicht, dass Käse, Joghurt und Co in China traditionell nicht zu jedem Frühstückstisch gehören. Aber: Wie alles westliche sieht man diese Produkte immer öfters und Käse ist hier durchaus ein Luxusgut, das mehr und mehr ver- und gekauft wird. Zu unserem Glück.
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