…ist, gelinde ausgedrückt; eine Katastrophe. Regeln scheint es keine zu geben und wenn es sie gibt, dann scheren sie keinen und sind für Menschen, die nicht in diesem Chaos gross geworden sind, schwer nachzvollziehen. Täglich werden in Shanghai rund 400 zusätzliche Autos zugelassen. Dazu kommen unzählige Fahrräder, Scooter, Dreiräder und allerlei sonstiges, abenteuerliches Gefährt. Und all diese begeben sich täglich auf chinas Strassen um ein Spektakel der besonderne Art zu vollführen. Da wird gehubt (ständig), gedrängelt (auch ständig), der Weg abgeschnitten und was für uns Europäer am ungewöhnlichsten ist; so dicht aufgefahren, dass es eigentlich ständig knallen müsste. Das tut es genaugenommen auch – im vergangenen Jahr sind in China 90.000 Menschen im Strassenverkehr gestorben – das ist traurige Weltspitze. Doch erstaunlich oft bleibt es beim Beinahecrash und nach welchen Regeln auch immer, bremst einer der Strassencowboys doch noch in letzter Sekunde ab.
So ist eine Fahrt durch Shanghais Strassen eine nicht nur nervenaufreibende, sondern auch höchstgradig ruckelige Angelegenheit. Das liegt einerseits an den meist uralten Taxen (vor kurzem selbst gesehen: ein Santana mit 499.000km), und andererseits am ständigen stop and go und den harten kurz-vor-knapp Brems- und Ausweichmanöver. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man überhaupt voran kommt. Denn genau das hingegen ist eine wirkliche Seltenheit in dieser Stadt, die genau betrachtet nichts anderes als ein grosser Parkplatz (auf dem überdurchschnittlich viel gehupt wird) ist.
Interessant ist die eindeutig zu erkennende Hierarchie, die unter den Teilnehmern klar geregelt zu sein scheint: Es gilt 1.: grösser vor kleiner und 2.: schneller vor langsamer und 3.: vorne vor hinten. LKW und Bus haben gemäss dieser Logik IMMER Vorfahrt. Es folgen grosse (und/oder teure) Fahrzeuge, dann die normalen PKW´s, dann die Roller und Scooter (hierzu gleich noch mehr), gefolgt von Fahrräder und ominösen dreirädrigen Gefährten, die bergeweise Material transportieren und mit Pedalen angetrieben werden. Ganz unten in der Nahrungskette steht ganz klar der Fussgänger. Er hat eigentlich keine Rechte und entsprechend ist es hier auch keine gute Idee, sich auf eine grüne Fussgängerampel zu verlassen und einfach loszulaufen. Die Chancen auch wirklich und heil auf der anderen Strassenseite azukommen sind dabei extrem gering.
Nun sind die Autos für den armen Fussgänger ja noch relativ gut zu erkennen und da sie ständig hupen (die Huplogik hat sich mir noch nicht erschlossen) sind sie meist auch zu hören. Viel gefährlicher sind eigentlich die hier sehr weit verbreiteten und aus Europa nahezu unbekannten Elektroscooter. Diese illustren Gefährte gleichen unseren Rollern, haben aber den enormen Nachteil, dass sie sich (vom Hupen abgesehen) geräuschlos bewegen. Um es dem sowieso schon genug bestraften Fussgänger nun aber noch schwerer zu machen, fahren diese Dinger nachts auch noch ohne Licht! Man hört sie also nicht nur nicht, man sieht sie auch nicht. Klar, Licht wird mit Strom betrieben und den verbraucht der Elektroscooterfahrer lieber für Vortrieb als um gesehen zu werden.
So wird also jeder Gang zum Supermarkt zum Hindernislauf und jede Fahrt mit dem Taxi zur Achterbahnpartie – mit dem Unterschied, dass man in Shanghais Taxen grundsätzlich nicht angeschnallt ist. Zwar gibt einem der blecherne Bordcomputer bei jedem Fahrtbeginn den gutgemeinten Rat: “Please fasten your seatbelt” – nur scheitert dieses Vorhaben meist daran, dass diese wenn überhaupt vorhanden, unter reizenden Sitzbezügen, wahlweise auch mit gehäkelten Spitzen, verborgen sind.
Nun zerstören motorisierten Chinesen auf diese Weise im Stadtverkehr aufgrund der im Getümmel reduzierten Geschwindigkeit, mit der man vorankommt, meist nur Blech (und Fussgänger) – weitaus vehehrendere Folgen hat die Inkompetenz der Fahrer allerdings auf den Autobahnen. Auf unseren Fahrten zwischen Shanghai und Changzhou (2,5 Stunden überwiegend Autofahrt) gab es noch keine einzige, auf der wir nicht an mindestens einem Unfall vorbeigekommen sind. Oft ist bei diesen mit einem Lackstift nicht mehr viel zu retten: So zum Beispiel vor zwei Tagen, als ein LKW mit Baumstämmen auf dem Rücken quer über die Autobahn lag, umgeben von zahlreichen Autos, die von den umherfliegenden Hölzern übel zugerichtet wurden.
Und dabei liegt es nicht, wie man vielleicht meint, an den Zuständen der Strassen – denn die meisten Autobahnen sind brandneu und gut ausgebaut. Auch die (wenn auch oft alten) Autos ansich sind offensichtlich nicht der Grund für die vielen Unfälle, sondern schlichtweg das Unkönnen der Fahrer. Diese überholen links, wie rechts (gern auch auf dem Pannenstreifen), fahren mit Lichthupe bis zum Stossstangenkontakt auf den Vordermann auf, scheren aus ohne zu blinken und gehen davon aus, dass sie egal in welcher Situation im Recht sind, wenn sie denn zuvor ausreichend gehupt haben.
Erstaunlich oft geht das gut. Manchmal aber eben auch nicht. Und so bin ich jedes Mal, wenn ich im Taxi wieder einmal im Stau stehe auch ein bisschen froh darüber, dass der Fahrer so schon mal keine wirklich gefährlichen Geschwindigkeiten (zumindest für die Insassen – der Fussgänger ist natürlich auch hier wieder der Dumme) aufnehmen kann.
Eines ist bei dem ganzen Chaos aber sehr erstaunlich: Obwohl jeder drängelt, keiner den anderen rein- oder vorlässt und ein ständiges Wirrwarr herrscht, bei dem eigentlich keiner richtig vorankommt, bleiben die Fahrer zu jeder Zeit absolut emotionslos und ruhig. Es wird nicht geflucht, nicht gestikuliert, nicht belehrt. Es ist einfach so. Sie kennens halt nicht anders hier.