Das neue Jahr beginnt in China entsprechend dem Mondkalender am Vollmondtag zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar (dieses Jahr Anfang Februar) und ist der wichtigste Feiertag des Jahres, welcher rund eine Woche mit Feuerwerk, Festzügen, Familienfeiern und Festessen ausgiebig gefeiert wird. „Chinese New Year“ ist für die Chinesen, was für uns im Westen Weihnachten und Neujahr zusammen ist und für viele Einheimische die einzige Gelegenheit im Jahr, die oft weit entfernt lebende Familie zu besuchen. Und weil fast alle Menschen die Zeit nutzen, um sich entweder quer durch dieses riesige Land auf den Weg nach Hause zu machen oder im Kreis der Familien zu Hause sind um zu feiern, kommt das hektische Leben sogar in Riesenstädten wie Peking oder Shanghai in dieser Zeit weitgehend zum erliegen. Viele Läden und Restaurants bleiben das einzige Mal im Jahr geschlossen (hier hat alles grundsätzlich immer offen – auch samstags und sonntags und an sonstigen Feiertagen) und selbst die sonst so geschäftigen Taxifahrer stellen teilweise ihren Dienst ein.
2011 ist übrigens das Jahr des Hasen, welches angeblich eine Zeit in der Genuss, Harmonie und Sanftmut eine wichtige Rollen spielen bringen soll. Wir werden sehen, inwiefern sich das mit dem Go-Live meines Projekts verbinden lässt.
Wie bei uns finden auch hier in der Zeit vor diesem Ereignis alljährliche die Firmenfeiern statt, in denen man das vergangen Jahr in festlicher Atmosphäre ausklingen lässt. Man sitzt dabei in großen Festsälen von namhaften Hotels an runden, geschmückten Tischen, isst, trinkt, unterhält sich, hört langatmigen Reden zu und manche Firmen verteilen Geschenke an ihre Mitarbeiter.
Hört sich an wie eine Firmenweihnachtsfeier bei uns? Bei weitem nicht!
Ich wünsche jedem, dass er einmal in seinem Leben in den Genuss kommt, Gast bei einer dieser bizarren Veranstaltungen zu sein, die Monate im Voraus meist von extra darauf spezialisierten und zu diesem Zweck angeheuerten Firmen akribisch geplant werden. Jede Firma die was auf sich hält lässt sich bei der Austragung der Neujahrsfeier nämlich nicht lumpen und so wurde in unserem Fall neben einem Moderatorenpaar welches in oskarverleihungsmanier durch den Abend führte sogar extra ein Choreograph engagiert.
Man mag sich nun fragen, wozu für eine Firmenfeier einen Choreographen benötigt wird. Der Grund sind die zahlreichen Darbietungen wie Sketches, Lieder, Tanzvorführungen und Kunststücke, die traditionell einen solchen Abend füllen, aber nicht etwa von Leuten aufgeführt werden, die das richtig können, sondern in der Regel von ganz normalen Mitarbeitern (die das meist nicht so gut können – aber trotzdem tun). Diese sind sich offensichtlich zu nichts zu schade und es scheint ihnen auch keine noch so skurrile Darbietung vor der ganzen Kollegengemeinschaft zu peinlich zu sein. Diese Vorführungen durchlaufen angeblich eine Art Casting bei dem der Chroeograph letztlich entscheidet, wer gut genug ist um bei der Feier vor großem Publikum auftreten zu dürfen. Man kann es sich bei uns in Europa kaum Vorstellen, aber angeblich ist die Anzahl derer, die sich gerne vor allen zum Affen machen wollen weit grösser als es der straffe Zeitplan erlaubt, warum es lange nicht jeder Möchtegerndarbieter auch wirklich in den Recall und letztlich auf die Bühne schafft.
Dass solche Auswahlkriterien überhaupt existieren verwundert dann vor allem in Anbetracht dessen, was das Publikum trotzdem noch so zu sehen und zu hören bekommt. Auf der Feier meiner Firma reichte das Angebot der Darbietungen von einer Lasershow zum Auftakt über einen keybordspielenden Möchtegernmusiker, kindliche Spielchen in denen Ballons mit dem Hinter zum Platzen gebracht werden mussten, eine furchtbar schräg singende Cover-Girlband bis hin zu einer wirren Karatevorführung in der Coca-Coladosen eine wichtige Rolle spielten und einen Kollegen der einen lokalen Komödianten imitierte, jedoch lediglich ein paar erzwungene Freundlichkeitslacher im Publikum zu bewirken vermochte.
Das „Highlight“ der Vorführungen war ein extrem abstruser Auftritt des lokalen Top-Managements, welches nichts weiter tat, als in traditionellen, chinesischen Opernkostümen auf die Bühne zu kommen, pro Person ein Wort in den Raum zu schreien und dazu irgendwelche komische Posen einzunehmen. Während die chinesischen Kollegen ganz aus dem Häuschen waren, mit ihren Plastikhänden am Stil wild klatschten und Fotos machten was die Digicam aushielt, schauten sich die Westler nur verwundert an.
Ansonsten schenkte das Publikum den Vorführungen auf der Bühne generell eher geringe Aufmerksamkeit. Viel wichtiger war das Essen (wie hier üblich alles mit Knochen, Schale und Gesicht noch dran), das an runden Tischen à 10 Personen eingenommen wurde und zu dem neben Rotwein Cola, Sprite und Orangensaft aus Plastikflaschen serviert wurde. Dabei gehört es sich, mit den Getränken zu regelmäßig ausgerufenem „Kanbei“ (=auf Ex)anzustoßen und dabei mit seinem Glas von einem Tisch zum anderen zu gehen um möglichst mit jedem im Saal mindestens einmal getrunken zu haben. Das und die Trinkfestigkeit für die die Chinesen ja bekannt sind führte dann auch dazu, dass um 20:30 bereits die ersten Kollegen nicht mehr ganz trittsicher von Tisch zu Tisch wankten.
Etwas mehr Aufmerksamkeit als die schrägen Darbietungen, welche stets von billig riechendem Discorauch aus der Nebelmaschine, einer bunten Lichtshow und unglaublich laut hämmernder Musik begleitet wurden, erhielten die zahlreichen Verlosungsrunden. In einer Kombination aus Losziehen und abgefahrenem PowerPoint Glücksgenerator wurden über den Abend verteilt immer wieder Preise verteilt, vom Maniküreset (das jeder erhielt) über Thermoskannen und Wasserkocher bis hin zum Hauptpreis, einem TV-Set im Wert von 5000 RMB (etwa 550 EUR).
Letzteres gewann ein vor Freude sichtlich übermannter, junger Herr, der sich dafür im Gegenzug auf der Bühne minutenlang veralbern lassen musste, indem er durch ein Megaphon aus Pappe immer und immer wieder den gleichen Satz ins Publikum schreien musste – was dieses offensichtlich wahnsinnig komisch fand, auf Nichtchinesen allerdings eher befremdlich wirkte.
Mit diesem „Höhepunkt“ ging der Abend dann nach exakt 2,5 Stunden zu Ende und so pünktlich wie die Feier, die genaugenommen eher eine Show mit Essen und Trinken war, begonnen hatte ging sie dann auch entsprechend dem Programm um punkt 21:00 Uhr zu Ende. Und zu Ende bedeutet nicht wie bei uns, dass der formale Teil vorbei ist und man zum gemütlichen übergeht und noch bis Nachts um vier mit den Kollegen trinkt und die Sekretärin mit dem Chef auf der Toilette verschwindet. Zu Ende bedeutet: Punkt 21:00 stehen rund 700 Gäste auf, ziehen Ihre Jacken an, verabschieden sich und sind weg.
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