Letztes Wochenende ist mir das passiert, wovor es jedem Auslandsreisenden graut: Mein Portemonnaie ging verloren.
Und da ich gerade von einer Geschäftsreise zurück kam war darin nicht nur das sonst übliche Minimalsortiment an Karten enthalten, sondern das grosse Programm: Private und geschäftliche Kreditkarten von deutschen und schweizer Banken, Führerschein, Personalausweis, Krankenversicherungskarte, diverse Bonus- und Vielfliegerkarten, Access-Card für unseren Wohnkomplex und ums noch etwas interessanter zu gestalten auch der Wohnungsschlüssel. All das war weg und das kam so: Es war ein wunderschöner Sonntag mit stahlblauem Himmel und sehr angenehmen, spätherbstlichen Temperaturen um die 20 Grad (hier Anfang November durchaus noch normal). Uns sehnte es (wie eigentlich jedes Wochenende) nach Natur, frischer Luft und Bewegung und so entschieden wir den Shanghaier Zoo zu besuchen. Eigentlich bin ich bekennender Zoo-Hasser und kann den Anblick von eingesperrten Tieren nicht ertragen, aber der Tierpark hier wurde uns mehrfach empfohlen und ausserdem darf man seine Ansprüche an Grünflächen in Shanghai nicht zu hoch setzen, sonst bleibt man am Ende doch zuhause sitzen.
Aber zurück zum Thema: Dem Sonntagmorgen ritual folgend, kaufte ich also bei unserer Stammbäckerei „Lind“ (deutsche Bäckerfamilie mit Niderlassung hier und unglaublich leckeren Backwaren) Frühstück und einen Tea to go (beides bezahlte ich selbstverständlich – also hatte ich hier meine Brieftasche noch), bevor wir uns vor der Grand Gateway Shoppingmall ein Taxi nahmen und in Richtung Zoo fuhren. Die Fahrt dorthin dauert an einem Sonntag eine knappe, halbe Stunde (an einem Wochentag vermutlich locker anderthalb) und voller Vorfreude kamen wir an. Als ich dann den Taxifahrer bezahlen wollte dieses Ungute Gefühl, welches wohl jeder beim Griff nach seinem Geldbeutel schon erfahren hat, wenn dieser nicht in der Tasche ist, wo man ihn vermutet und gewöhnlich trägt. Daraufhin hektisches in den Jacken- und Hosentaschen suchen – nix. Aussteigen und unter den Sitzen, auf dem Autoboden, unter der Sitzbank (kann man beim Santana übrigens wunderbar abmontieren) und nochmal in allen Taschen in denen man zuvor schon dreimal gesucht hat nachschauen: Nichts. Bildlich geht einem schon mal durch den Kopf, welche wichtigen Karten, wie viel Geld und welche sonst nur mit viel Ärger wiederzubeschaffenden Dokumente man wohl gerade verloren hat und was evtl. irgendein Chinese gerade damit anstellt.
Dagegen hilft auch ein 22stes Mal auf dem Körper rumklopfen nichts: Die Erkenntnis ist da – und Geld und Karten sind weg. Der Sonntag hätte bis dahin durchaus besser laufen können…
Darauf folgte dann der verzweifelte Versuch, dem Taxifahrer zu erklären, dass wir genau jetzt wieder genau dahin zurückfahren wollen, wo wir gerade herkamen und das durchspielen aller erdenklicher Szenarien wo man ihn hätte verloren haben können auf dem Weg dorthin. Einzige plausible Erklärung, nachdem ich in der Bäckerei zuvor ja noch bezahlt hatte: Entweder habe ich ihn dort liegen lassen (das wäre gut) oder auf dem Weg von dort ins Taxi verloren (man könnte sagen das wäre die unglücklichere Alternative in einer 20 Millionen Einwohner Stadt in der der monatliche Durchschnittslohn bei knapp 200 Euro liegt). Leider fand das Schicksal Variante zwei aber interessanter und beim Bäcker lag nichts. Nun gut, nochmal das Taxi von oben bis unten auseinandergenommen, dann dem Polizisten (der ebenfalls kein Englisch konnte, aber dennoch viele Notizen machte) die Situation erklärt, dazu noch meine Kontaktdaten bei Taxifahrer, Polizist und Shoppingmall hinterlassen und dann mit etwas getrübter Stimmung zurück nach Hause um all die Bankkarten zu sperren.
Dieser Teil geht ja bekanntlich problemlos – viel komplizierter ist es, all die neuen Karten zu beantragen und vor allem zwischenzeitlich ohne diese zu überleben. Zum Glück hatte ich eine einzige Bankkarte nicht im Portemonnaie an diesem Tag und das war die chinesische, die ich hier fast ausschließlich benutze.
Nachdem alles gesperrt war und ich gelernt habe, dass es quasi unmöglich ist, einen deutschen Führerschein im Ausland zu ersetzen (das geht tatsächlich nur persönlich beim Landratsamt IN DEUTSCHLAND) konnte der Tag nur noch besser werden und so entschieden wir uns, den Zoobesuch doch noch abzuhalten – das beste was wir tun konnten. Das Wetter war traumhaft, der Zoo ist viel schöner angelegt, als man es in diesem Land (in dem Tiere nicht gerade zuoberst in der Respektrangordnung residieren) erwartet und außerdem habe ich meinen ersten, echten Pandabären gesehen. Ungewohnt für Europäer: Es gibt neben Tiger, Panther und Krokodilen auch unglaublich viele Hunde die hier ausgestellt werden. Dabei sind fast alle Rassen vertreten und was bei uns vermutlich kein Kind zum Anhalten bewegen würde, scheint bei den Chinesen recht gut anzukommen.
Den Abend verbrachte ich dann mit dem suchen von Dokumenten im Internet, mit denen man all die verlorenen Dokumente neu beantragen kann und dem aufschreiben von Telefonnummern diverser Firmen und Behörden für den nächsten Tag.
Am nächsten Tag dann das Wunder: Meine Agentin, die bisher in keiner Weise in die Geschichte involviert war rief mich in der Firma an und fragte, ob ich zufällig meinen Geldbeutel verloren hätte. Sehr überrascht darüber, dass sie davon weiß (es hätte jedoch sein können, dass mein Compound sie informiert hat), erzählte ich ihr die Geschichte und mein damit verbundenes Leid, worauf sie meinte, dass sie weiß wo er sei und mir eine Adresse gab an der ich ihn abholen könnte. Ich war zugegebenermaßen ziemlich überrascht und verwirrt: Da verliere ich etwas in dieser Megastadt und einen Tag später ruft mich jemand bis dato völlig unbeteiligtes an und gibt mir eine Adresse von einer nochmal weiteren Person die angeblich meinen Geldbeutel haben soll. Es wäre zu schön wenn das wahr wäre. Eine Kollegin rief für mich bei der angegebenen Telefonnummer an und tatsächlich war da jemand, der behauptete meine Brieftasche gefunden zu haben. Zusammen mit chinesischer Unterstützung nahm ich mir sofort ein Taxi und fuhr zur angegebenen Adresse , die sich als Büro in einem Möbelhaus in einem der hintersten Winkel Shanghais entpuppte. Und tatsächlich: Im 5. Stock überreichte mir eine junge Dame meinen Geldbeutel – mit komplettem Inhalt (vom Geld mal abgesehen). Die Freude war unbeschreiblich und gerne hätte ich der Finderin einen Finderlohn bezahlt, doch diese weigerte sich vehement, das angebotene Geld anzunehmen.
Die Nachricht verbreitete sich dann wie Lauffeuer in der Firma und mehrere Kollegen versicherten mir, dass ich unglaubliches Glück hatte (davon mal abgesehen, dass alle Karten ja bereits gesperrt waren). Interessant war auch die Theorie einer Kollegin: Diese war überzeugt, dass mir der Geldbeutel gestohlen wurde, der Dieb dann aber beim Anblick der ganzen ausländischen Karten doch ein schlechtes Gewissen beim Gedanken an den Stress den ich haben werde bekam und den Geldbeutel deshalb zurückgab. Ein Dieb mit Herz sei das gewesen meinte sie. Ich habe keine Ahnung, wie das alles genau vor sich ging, bin aber sehr froh darüber, dass mir die Reise zum Reutlinger Landratsamt um einen neuen Führerschein zu beantragen auf diese Weise erspart blieb.