Jeden Sonntag spielen sich im “People`s Park” im Zentrum Shanghais skurrile Szenen rund um einen idyllischen Lotusblumenteich herum ab. Wer dieses Spektakel noch nicht kennt, der wundert sich vor allem über zahlreiche, mit chinesischen Zeichen beschrifteten Papierblätter, welche an Bäumen, Sträuchern oder extra dafür konstruierten Aufstellern überall in diesem (übrigens wunderschönen) Park angebracht sind.
Es handelt sich dabei um Steckbriefe von einsamen Herzen, welche deren Eltern oder Grosseltern erstellt haben und mit dessen Hilfe dieselben darauf hoffen, im Park den Traumpartner für die einsamen Grossstadtmenschen zu finden. Auch ohne Chinesischkenntnisse kann man die wichtigsten Randdaten der Singlekandidaten schnell erkennen. Neben einem Passfoto auf dem junge Damen und Herren in die Kamera strahlen, stechen dann vor allem die für uns lesbaren Zahlen hervor: Diese stehen für den Jahrgang, die Körpergrösse und – bei uns undenkbar, solche Daten öffentlich auszuhängen - das monatliche Einkommen (welches sich meist so um die 1000 RMB (100 Euro) bewegt).
Die vermittelnden (Gross-) Eltern sitzen praktischerweise meist in unmittelbarer Nähe ihrer Werbeanzeigen auf einem kleinen Klappstuhl und stehen damit für sofortige Verhandlungs- und Vermittlungsgespräche zur Verfügung.
Im Zeitalter von Internet und unzähligen Singlebörsen, wirkt ein solcher Heiratsmarkt etwas skurril, ein chinesischer Freund hat mir aber erklärt, dass die Eltern hier oft gar nicht auf Wunsch des Kindes, sondern in Eigeninitiiative handeln und das liegt vor allem an den sich in der Grossstadt ändernden Wertvorstellungen in der Gesellschaft. Die Jungen streben auch hier nach Karriere und Geld, wobei die Partnersuche und Familie oft zu kurz kommt. Traditionell ist die Familie in China jedoch das höchste Gut und da die Eltern den modernen Lebenswandel ihrer Kinder oder Enkel nicht einfach so hinnehmen wollen, übernehmen sie kurzerhand selbst die Initiative. Und so sieht man hier und da zusammensitzende, ältere Damen und Herren, die zusammen rausfinden wollen, ob ihre Zöglinge denn ein perfect match wären. Wenn man das so beobachtet, dann erhält man allerdings den Eindruck, dass das ganze für die Vermittler nicht ganz uneigennützig von statten geht: Für manche der Anwesenden scheint es auch einfach ein unterhaltsames Sonntagmorgenprogramm zu sein, zu dem Eltern und Grosseltern teilweise von weit ausserhalb Shanghais anreisen.
Gleichzeitig scheint dieses “Event” immer beliebter zu werden. Als ich vor 3 Jahren zum ersten Mal auf dem “Heiratsmarkt” war, waren es um die 50 Damen und Herren, die mit Steckbriefen bestückt ihre Töchter, Nichten und Enkel feilboten. Als ich im Februar 2011 zum letzten mal an einem Samstag morgen dort war waren es viele hunderte “Aussteller” und tausende von Menschen, die sich das Spektakel entweder ansahen oder mit Kugelschreiber und Notizblock Telefonnummern von den Annoncen abschrieben.
Wer sich das lohnenswerte Spektakel ansehen will:
Jeweils Samstags und Sonntags vormittags ab ca. 9 Uhr: People`s Square (an der Nanjing Lu) rund um den “Lotus Flower Pond” am Ende zum JW Marriott Hotel hin (nicht zu verkennen der spitze Turm) (Subway 1, 2, 8, Station People`s Square). Einfach gehts auch per Taxi: Dem Fahrer einfach “Rénmín Guǎngchǎng Zhàn” sagen.
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