China katapultiert sich gerade aus der Vor-Industrialisierungszeit in die Zukunft und ein Symbol für diese rasende Entwicklung, die Investitionslust und nicht zuletzt den Stolz und die neu gewonnene Selbstsicherheit dieser Meganation sind die Superzüge, deren High-Tech-Trassen kreuz und quer durchs Land geradezu aus dem Boden gestampft werden.
Die neueste Strecke ist rund 1300 Kilometer lang und verbindet Shanghai direkt mit Peking. Die sogenannten “Bullet Trains”, sprich
Hochgeschwindigkeitszüge brauchen bei einer Geschwindigkeit von 340km/h nicht einmal 5 Stunden für die Strecke – das ist selbst mit dem Flugzeug nicht schlagbar, wenn man Weg zu Flughafen, Security-Checks und in China nicht unübliche Verspätungen miteinrechnet.
Schätzungsweise 80 Millionen Passagiere sollen pro Jahr über die meterhohen, topfebenen und schnurgeraden Trassen rasen – das sind unglaubliche 200.000 pro Tag! Erst vor zwei Monaten wurde die neue Hochgeschwindigkeitstrasse mit viel Tara und von unzähligen Zeitungs- und Fernsehberichten begleitet, von Herrn Hu persönlich und höchstfeierlich eröffnet.
Seither gab es aber leider schon ein unschöne Vorkommnisse, die das Vertrauen in die neuen Schienen-Geschosse in der Bevölkerung gestört und die anfängliche Eisenbahneuphorie merklich gedämpft haben. Gerade mal einen Monat nach Eröffnung ist ein Zug mit voller Geschwindigkeit auf einen zweiten aufgefahren. Über 150 Menschen kamen dabei ums Leben, viele wurden verletzt. Offizieller Grund war Anfangs ein Blitzeinschlag, den den ersten Zug lahmgelegt hat und weshalb angeblich ein Signal nicht funktionierte, das wiederum den zweiten Zug zum Anhalten hätte bewegen sollen. Die Geschichte hörte sich auch für Laien recht misteriös an, bekam mehr und mehr Ungereimtheiten und wurde schliesslich in diversen Internetforen erstaunlich öffentlich und überraschen unzensiert geradezu zerrissen. Korrupte Beamte und windige Zuliferer die billige Qualität geliefert haben werden dort angeprangert und die Frage diskutiert, ob der ganze Zughype nicht doch etwas zu schnell geht und ob der Prestige auf Kosten der Sicherheit geht.
Die genaue Ursache für das Unglück ist wohl nach wie vor unbekannt und so fahren die weissen Züge vorerst mit gedrosselter Geschwindigket von 320 km/h, was wiederum dazu führt, dass der Fahrplan angepasst werden musste und viele Züge ausfielen.
Von diesen Kinderkrankheiten habe ich mich jedoch nicht abhalten lassen und wurde hier in China selbst zum Bahnfahrer. Und: Ich bin absolut begeistert. Was hier geschaffen wird ist mit der allseits beliebten, deutschen Bahn nicht annähernd vergleichbar: Die Bahnhöfe sind alle brandneu, topmodern, sauber und effizient und wurden extra für die Bullet-Trains gebaut. Das ganze drumrum erinnert eher an Fliegen als an Zugfahren. Beim betreten des Bahnhofs geht man erst durch einen Security Check, danach in einen auf dem Ticket ausgewiesenen Wartebereich (Gate genannt). Erst kurz vor der Abfahrtzeit wird über einer Tafel am Gate angezeigt, dass der Zug jetzt zum boarding bereit ist, indem die Zugnummer grün wird. Erst jetzt aktzeptieren die automatischen Zugangschranken die Magnetstreifenkarte welche das Ticket ist und man gelangt über Rolltreppen zum Bahnstgeig.
Die Züge selbst, welche mitlerweile in der dritten Generation fahren (die erste wurde noch aus Japan gekauft, seither werden sie in China gebaut) sind topmodern und erinnern doch sehr stark an den deutschen ICE. Das wundert nicht, denn eigentlich der ganze Zug ist 1:1 vom Siemens-Vorbild abkopiert, dann aber durchaus noch verbessert worden. So schaut man hier immer in Fahrtrichtung, weil die Sitze sich um 180 Grad drehen können und in der ersten Klasse sitzt man in Schalensitzen, wie man sie aus dem Flugzeug kennt. Hausschlappen, Stewardess, 180 Grad Liegefläche und persönliches Video-on-deman-Panel inklusive.
Ich selbst nutze den Zug um von Shanghai zu unserem Standort in Changzhou zu gelangen. Ursprünglich dauerte dies mit dem Bus rund 2,5 Stunden. Mit dem alten Zug von der Shanghai Station zur Changzhou Main Station rund 1,20 Stunde und nun mit dem Superzug gerade mal noch 40 Minuten – inkl. 2 Stops und für eine Strecke von rund 200km! Das ist unschlagbar. Ich schreibe diesen Artikel aus dem Hotel in Changzhou. Morgen werde ich michwieder in den Superzug zürck nach Shanghai setzen und ich freue mich schon drauf. Hoffen wir, dass ich nicht wie andere vor mir Stundenlang auf der Strecke ohne Klimaanlage stecken bleibe, weil das Stromnetz leider noch nicht ganz ausgeklügelt ist und dass es keinen Blitzschlag gibt und ich aus dem Fenster schauen, die neuen Megatrassen und Megabahnhöfe, welche innerhalb wenigen Monaten aufgestellt wurden im vorbeifliegen bewundern und dabei mit einem schmunzeln an Stuttgart21 denken kann